Interview mit Jonas Schröter von InterEuropean Human Aid Association Germany e.V. (IHA)

Wir waren 2015 selbst am Balkan vor Ort, um die Menschen dort mit Hilfsgütern zu versorgen. Vollgepackte KK-Transporter haben den Menschen das Nötigste gebracht. Über mehrere Wochen waren wir „im Einsatz“, lernten dabei u.a. Jonas kennen und gründeten die IHA, eine Hilfsorganisation für Geflüchtete.

KK: Hallo Jonas, bevor wir einsteigen und Du uns erzählst, wer die IHA ist und was Ihr macht, eine andere Frage: Es gibt eine Verbindung zwischen dem Kartoffelkombinat und der IHA. Wie kam es dazu?

JS: Hallo, ja, das ist richtig. Einige Mitglieder des Kartoffelkombinat waren von der ersten Stunde an mit dabei und haben sogar die IHA mitgegründet. Angefangen hat alles auf einem wüsten Acker in Ungarn, im Scheinwerferlicht der Sprinter des Kartoffelkombinats. Das war im Herbst 2015. Die Menschen flohen vor dem Krieg in Syrien und kamen über den Balkan in Richtung Mitteleuropa, mit der Hoffnung auf ein Leben in Frieden. Die Situation damals war dramatisch. Wir standen nachts auf diesem Acker, uns gegenüber ungefähr 5.000 Menschen, eingekesselt von Spezialkräften der ungarischen Polizei, beleuchtet vom grellen Fernlicht der Polizeibusse. Das Absurde daran war, dass wir als Europäer die Polizeisperren passieren durften und diese Menschen versorgen konnten. Es mangelte an allem. Es gab kein Wasser, Essen oder Decken. Es waren Kinder, schwangere Frauen und alte und geschwächte Menschen mitten in diesem Kessel. Die Menschen mussten dort urinieren und ihr Geschäft verrichten. Jeder Versuch von Menschen, aus diesem unwürdigen Moment zu entkommen, wurde mit Schlagstöcken und Pfefferspray beantwortet. Für mich – ich war damals 27 und aufgewachsen in einem friedvollen Europa, was sich Menschenrechte groß auf die Fahne schrieb – waren dies unvorstellbare Zustände, so mit Menschen, die vor Krieg fliehen, umzugehen.
Wir versuchten so viele Menschen wie möglich mit dem Nötigsten zu versorgen: Wir verteilten Decken, Essen, doch unser Kombi war sehr schnell leer. Da kamen uns zwei Sprinter mit Münchner Kennzeichen, vollgepackt mit Spenden, entgegen. Wir waren am Ende unserer Kräfte und sehr froh um die Unterstützung des Kartoffelkombinat-Teams. Wir arbeiteten die nächsten Tage effektiv zusammen und merkten, wie viel wir gemeinsam auf die Beine stellen konnten. Diese hohe Selbstwirksamkeit zu erfahren, war der Initiativmoment. So entstand die Idee, den Verein IHA zu gründen und eine kleine schnelle Einsatztruppe für solche Einsätze parat zu haben. 

 

KK: Inzwischen ist die IHA nur noch in Griechenland aktiv. Während viele Menschen Griechenland vor allem mit Urlaub machen assoziieren, seid Ihr dort unterwegs und versucht geflüchteten Menschen zu helfen? Was macht Ihr dort?

JS: Wir sind inzwischen seit 8 Jahren in Griechenland und die Situation für geflüchtete Menschen ist nach wie vor sehr erschreckend. Die Situation auf Inseln, wie auf Lesbos oder Samos, ist vielen bekannt und häufig in den Medien präsent. Doch auch über das Festland kommen weiterhin viele Geflüchtete an. Wir, die IHA, sind im Norden von Griechenland, in und um Thessaloniki aktiv. Wir haben dauerhaft ein Team aus 10 Freiwilligen aus ganz Europa und 5 KoordinatorInnen vor Ort. Dazu kommen Freiwillige aus dem Camp, die unsere Arbeit unterstützen. Hier gibt es zwei Hauptprojekte: Zum einen betreiben wir ein großes Warehouse, von dem aus wir die Camps und Partnerorganisationen in Nordgriechenland mit Essen, Kleidung und Hygieneartikeln beliefern. Zum anderen bieten wir in unserem neu geschaffenen Community Center in Lagadikia einen Raum für Begegnung und Bildung an. Hier soll den Menschen ermöglicht werden, dem tristen Camp-Alltag entfliehen zu können. Zum Beispiel gibt es eine Nähwerkstatt, einen Womens Space und Sportaktivitäten. Unser Fokus liegt aber auf Bildung. Wir bieten Sprachkurse auf Englisch, Deutsch, Griechisch in unterschiedlichen Niveaustufen an. Die Kurse sind gut besucht und stoßen auf viel Zuspruch.

Für viele Campbewohner sind die Essensverteilungen essenziell.

KK: Woher kommen die Menschen, die dort im Camp leben?
JS: Das ist sehr gemischt, aber momentan sind das vor allem kurdische Jesiden, die vor dem IS fliehen mussten und in Europa gute Chancen haben Asyl zu bekommen.

KK: Warum seid ihr ausgerechnet in Griechenland aktiv?
JS: Seit der Schließung der Balkanroute durch die vielen neu gebauten, hohe Zäune stranden die Menschen nun in Griechenland. Sie riskieren alles in der Hoffnung auf Frieden oder ein würdevolles Leben. Die griechische Grenzpolizei hat mit EU-Geldern inzwischen einen 37 km langen und 6 Meter hohen Zaun entlang der Grenze zur Türkei hochgezogen. Die Küstenwache versucht mit brutalen Push Backs abzuschrecken.
Die Menschen, die es bis nach Griechenland schaffen und deren Asyl dort bewilligt wird, droht trotzdem eine ausweglose Situation. Die wirtschaftliche Krise in Griechenland hat sich chronifiziert, es gibt kaum Jobs, hohe Jugendarbeitslosigkeit und es gibt keinerlei staatliche Unterstützung für Geflüchtete. In dem Camp Lagadikia, in dem wir aktiv sind, gibt es keinerlei medizinisches Angebot oder Integrationsmöglichkeiten. Die großen humanitären Hilfsorganisationen wie UNHCR sind weitergezogen und haben die Leitung der Camps in die Hände des griechischen Staats übergeben. Die Menschen sind einer Stagnation und Chancenlosigkeit ausgesetzt, die nur in Depressionen enden kann.
Deshalb sind wir dort und bieten in unserem bunten Community Center Bildung und Aktivitäten an. Die Menschen können bei uns mitmachen, Aktivitäten selber gestalten und sich in ihrem Bildungslevel weiterentwickeln. Wir haben Menschen erlebt, die ohne jegliche Englischkenntnisse zu uns kamen, die dann unsere Klassen besucht haben und dann 1,5 Jahre später bei Unternehmen oder andere Organisationen gut bezahlte Jobs gefunden haben. Wir bleiben dran, weil wir merken, dass wir einen großen Unterschied im Leben dieser Menschen machen können.

 

Die Absolvent*innen erhalten Sprachzertifikate.

KK: Die politische Situation in Deutschland, aber auch in der EU, hat sich seit Ihr angefangen habt verändert. Die AFD gewinnt deutlich an Stimmen und der Kanzler fordert endlich massiv abzuschieben. Wie geht es Euch als Organisation, die sich um Migranten kümmert, in diesen Tagen?
JS: Großteils ist das schnöder Populismus, mit dem versucht wird, den Rechtspopulisten auf die gleiche Art Wählerstimmen abzunehmen. Nicht sehr erfolgreich, sondern eher hilflos, wie sich die ein oder andere Partei nach rechts streckt, um den eigenen Stimmverlust zu verhindern. Was wir merken, ist, dass sich der gesamte Diskurs über die letzten Jahre massiv verschoben hat. Das, was gesagt werden darf, wäre vor 10 Jahren undenkbar gewesen. Es darf wieder öffentlich über Migranten gehetzt werden. Die EU bekämpft Migration mit Milliarden als Investitionen in illegale Abschottungspolitik. Beispielsweise durch die Unterstützung der libyschen Küstenwache mit fatalen Folgen. All das funktioniert nicht wirklich. Deutschland war immer und ist auch heute ein Einwanderungsland. Wenn jeder von uns bei sich selbst in den Familienstammbaum reinschaut, werden die meisten feststellen, dass ihre Vorfahren auch fliehen oder migrieren mussten. 
Deutschland ist angewiesen auf die Einwanderung von Menschen. Wir haben einen massiven Mangel an Fachkräften, es fehlen Pflegekräfte und der Wirtschaftsstandort Deutschland ist bedroht. Wir sollten Migration als Chance verstehen und brauchen die richtigen Ideen und Instrumente, wie Integration neu gedacht werden kann.

KK: Was sind Eure größten Herausforderungen?

JS: Vor Ort in Griechenland haben wir mit Knappheit von Ressourcen zu kämpfen, wir können oft nicht genug liefern. Seit dem Ukraine-Krieg sind nicht mehr genug Altkleider übrig, viele Gelder und Sachspenden gehen dorthin. Eine weitere Herausforderung ist, dass unsere Spendeneingänge stark von der Berichterstattung in den Medien abhängen. Durch die Verzerrung des öffentlichen Diskurses durch AFD nach rechts hat die Solidarität stark nachgelassen. Die Menschen sind verunsichert, wie sie sich zu Geflüchteten positionieren sollen. Wir würden uns natürlich wünschen, dass die Menschen in ihren Nöten gesehen werden und die Menschen nach ihren Werten handeln, die sie sich für sich selbst wünschen würden. Die aktuelle politische Situation erfordert Engagement von uns allen. Die IHA bietet eine Möglichkeit sich zu engagieren. 

KK: Wie kann man Euch konkret unterstützen?

JS: Wir suchen immer motivierte Menschen, die uns vor Ort, in Griechenland in unseren Projekten unterstützen. Genauso, wenn nicht noch mehr, suchen wir Menschen, die uns im Backoffice unterstützen. Im Bereich Communications & Fundraising suchen wir Unterstützung. Wir freuen uns auf Leute, die sich unserer neu gegründeten Regionalgruppe in München anschließen. Wir wollen eine Gruppe etablieren, die Events veranstaltet, Spendentransporte organsiert und Awareness für das Thema leistet.  Wer Lust hat kann sich sehr gerne bei uns melden, wir freuen uns über jede und jeden, der sich uns anschließt. Wer keine Zeit hat und uns ideell unterstützen will, kann uns mit einer Dauerspende unterstützen. Mit 20 € können wir eine Stunde Englischunterricht für 10 Menschen finanzieren oder einen Menschen mit Schuhen versorgen. Jede Spende hilft uns weiter, gerade in diesen Zeiten.

Noch mehr Infos und Spenden könnt ihr hier: www.iha.help

Einen Einblick in die Arbeit der IHA und der freiwilligen Herlfer*innen bekommt ihr bei YouTube. Als Volontär*in kann man entweder im Warehouse oder im Community Center arbeiten. 

2 Antworten

  1. Hallo, ihr aktiven, kreativen, optimistischen Helfer für die geflüchteten Menschen in ihrer Not! Würde Euer Projekt gerne mal erleben, mithelfen als alte Medizinerin! Wieviele Menschen sind in dem Lager bzw. wieviel kommen zu euch?
    Auch die Menschen in meinem Umfeld sind zunehmend ablehnend der Migration gegenüber .. das bedrückt mich und diese „ Wende“ finde ich unfassbar ! ABER : jeder Einzelne zählt — macht weiter… haltet durch!!

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